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Mit dem rasenden Reporter, einem Theaterkritiker und einem Nobelpreisträger durch Amerika

Egon Erwin Kisch kennt mensch als jemanden, der es auch mit dem Golem in Prag aufgenommen hat. Mensch traut ihm so einiges zu. Vielleicht ist es gerade das, was die Reise ins Amerika der zwanziger Jahre in seiner Begleitung so verführerisch macht. Schlussendlich quält mensch sich mit ihm in der Touristenklasse über den großen Teich, wo der Autor aufgrund seiner politischen Aktivitäten befürchten muss, zum dritten Mal unverrichteter Einreise wegen wieder umkehren zu müssen. Ihm gelingt als Doktor Becker der Schritt ins „Paradies Amerika“, wie sein Reisebericht heißt. Mit ihm lernt mensch nicht nur die Lebensbedingungen in amerikanischen Gefängnissen kennen, sondern erfährt viel über die Lage der arbeitenden Bevölkerung, die beispielsweise bei dem nichtrauchenden Henry Ford an eilig dahinrauschenden Fließbändern beschäftigt wird. Kischs Blick gilt der menschenverachtenden Geldgier, den Ausbeutungsstrategien der Milliardäre und letztlich überhaupt dem Dollartunnelblick der Menschen. Temporeich durchreist mensch mit dem Reporter die amerikanische Welt, was bisweilen auch auf einen Ozeandampfer führt und dort das Leben als ungelernter work-a-way zeigt. So ganz nebenher werden Informationen über den Bau des Panama-Kanals inklusive Spotlight auf die Börsenspekulationen eingestreut. Kisch wäre nicht der rasende Reporter, wenn er nicht so im Vorübergehen noch mit Upton Sinclair ein Interview führen würde und Charly Chaplin vor die Feder bekäme. Die Art der Begegnungen ist nicht nur aufschlussreich, sondern auch sehr vergnüglich zu lesen, wobei immer der kritische Blick auf die Gesellschaft bleibt. Sei es bei Beobachtungen bei der Postzustellung, bei nächtlichen Schnellprozessen, bei den Arbeits- und Lebensbedingungen der unteren Bevölkerungsschicht – Kisch lässt nichts aus, selbst nicht die Friedhöfe, sei es der für reiche Hunde oder jener für namenlose Arme, für dessen Besuch er nicht einmal eine Erlaubnis erhält.

Kisch kratzt nicht nur am glorreichen Image der Siegernation – er reißt den goldenen Schleier von ihren Mythen. Denn selbst die Stars sind nur kleine Sternchen, abhängig von ihren Agenten, gehandelt und verkauft fast wie Sklaven. Was erstaunlich ist: nach der Reise reibt mensch sich die Augen und fragt sich: Ist Amerika heute so viel anders?

 

Ganz anders gestaltet sich die Reise mit dem Theaterkritiker Alfred Kerr.

I  Vielleicht liegt es an dem fortgeschrittenen Alter des Schriftstellers oder an seiner anderen Sozialisation. Mit fast 60 Jahren reist mensch komfortabler und im Bewusstsein einer anderen Klasse anzugehören.

II  Dem Leser/der Leserin wird ein Amerikaporträt offeriert, das weniger das Bild eines Landes, gar seines Zustandes offenbart als einen Rausch der Sprache. Allzu sinnenschwer schwirrt mensch mit Neologismen quer durch das Land, durch eine scheinbar menschenleere Gegend mit Naturwundern.

III  Kerr - der gerne ein Seehund sein möchte in Kalifornien und letzten Endes überall das Deutsche sucht, die alte Kultur, in jedem amerikanischen Fitzelchen ein germanisches Gen entdeckend.

IV  Zur Höchstleistung allerdings läuft er beim Besuch der Geysire auf: wie es hier tost und braust und „kochfaucht“, mit „Quillwirbel“ und „piano-Gebrüll“, ist beeindruckend.

V  Kerr weiß, wer er ist. Auszuhalten hat das sein „Setzer“, dem er seine neologistischen Schreibticks immer wieder unter die Nase reiben muss. Unterschätzte Intelligenz des Lesers, Ungeduld. Wortwahnsinn.

VI  Mitleid mit Julchen.

VII  Man sollte vorher die Reportage über New York und London gelesen haben! Klassen besser.

 

Im Alter vergleichbar mit Alfred Kerr ist der amerikanische Autor John Steinbeck, der sich ebenfalls aufmacht zu einer Amerika-„Reise mit Charly“. So lautet auch der Titel der Beschreibung seiner Reise, die er in den 60er Jahren unternimmt. Wobei man natürlich anmerken muss, dass er als Amerikaner einen anderen Blickwinkel auf sein Land hat als der deutsche Tourist Kerr. Nichtsdestotrotz wird die Reise mit John Steinbeck, der zwei Jahre später den Literaturnobelpreis bekommen wird, eine angenehme. Mensch kann brav zuhause im Sessel sitzen und mit dem Finger auf der Landkarte oder ganz zeitgemäß mit Pegman bei Google die Route verfolgen, die der Autor an den Grenzen der Vereinigten Staaten mit seiner Rosinante genommen hat. Der Begriff „Beschreibung“ mag vielleicht manchen abschrecken, weil er dahinter nüchterne Darstellungen vermutet. Das ist absolut nicht der Fall. Im Handumdrehen nimmt uns Steinbeck gefangen und malt mit seinem Material – den Worten- ein lebhaftes und durchaus gegenwärtiges Bild seines Landes. Man erfährt das Land optisch, akustisch und bisweilen auch olfaktorisch, eine Drei-D-Beschreibung , wenn mensch so will. John Steinbeck ist auch auf der Suche nach Dialekten und findet nur wenig Ortstypisches, was Radio und Fernsehen noch nicht nivelliert haben. Den Verlust des Individuellen beklagt er auch in Bezug auf das Essen: alles in Zellophan steril verpackt, aber ohne Geschmack. Überall Einheitsbrei, der sich fortsetzt in behäuserten Landschaften. Der Hang zum schnellen Wechsel begünstigt die mobile homes, die sich die Hänge auch in Kalifornien erobert haben, Steinbecks Heimatland. Hier wird ihm die Unmöglichkeit eines Nachhause-Zurückkehrens schmerzhaft deutlich: die Veränderungen markieren nicht nur Städte und Landschaften, sondern auch Menschen. Auf seiner Fahrt durch das Land bibbert der Leser/die Leserin mit dem Hundebesitzer um Charly, als es ihm schlecht geht. Mensch fürchtet sich mit ihm in der Nacht auf einem Stellplatz in unbekannter Gegend mit seltsamen Geräuschen und mensch erlebt mit Abscheu eine Cheerleader-Veranstaltung im Süden, wo sich der Rassenhass deutlich und bedrohlich zeigt. Steinbeck schildert ein Land, das vom Massenkonsum gekennzeichnet ist und mit ökologischen Problemen (schon damals) zu kämpfen hat. Die besondere Fähigkeit des Autors selbst Landschaftsbeschreibungen in Leben zu verwandeln, lässt die Lektüre zu einem echten Gewinn werden.